Eine offene Medienkritik!
Es ist zwar nur eine kleine, relativ irrelevante Meldung gewesen, aber sie ist doch durch zwei der größten heimischen Boulevardzeitungen gegeistert UND beim größten ORF-Radio auf der Homepage zu finden gewesen - mit entsprechendem Response.
"Harry verrät: 'DJ Ötzi gab uns Kraft, weiterzumachen'"
"'Gab uns Kraft': Harry und Meghan outen sich als Fans von DJ Ötzi"
"DJ-Ötzi Song als Kraftquelle für Prinz Harry"
Das waren die Schlagzeilen, die zu lesen waren. Doch die Geschichte wird ultimativ skurril.
"Keine Satire" "Und nein, das ist kein Scherz, es steht da, schwarz auf weiß", konnte man in den entsprechenden Artikeln lesen.
Was soll denn da nun schwarz auf weiß in der Biographie "Spare" (deutsch: Reserve) von Prince Harry stehen?
Folgende wortwörtliche "Zitate" aus dem Buch wurden so angeführt:
"Mein Bruder war so grausam zu uns, wir fühlten uns hoffnungslos. Aber der 'Burger Dance' gab uns die Kraft weiterzumachen und nicht aufzugeben."
"Gerade die emotionale Choreographie motivierte uns einmal mehr aufzustehen und dem britischen Königshaus die Stirn zu bieten."
Als ich das lese, wachsen mir fast die Augenbrauen über die Stirn. What?! Das kann doch einfach unmöglich stimmen.
Ohne das Buch noch gelesen zu haben, ist mir der Inhalt so weit vertraut, dass ich weiß: es geht um sehr große, emotionale Belastungen, persönliche Tragödien, familiäre Zerwürfnisse, seelische Krisen, uswusf.
Aber wie ja in den Zitaten angeführt wird, soll ausgerechnet der Burger Dance Harry und Meghan aus diesen emotionalen Krisen geholfen und die Tanzchoregraphie ihnen Kraft gegeben haben. Ein stark an ein Kinderlied angelehnter Song, mit ähnlich anmutender Tanzchoreographie, im Musikvideo sogar von Kindern ausgeführt.
Ich werde extrem skeptisch, versuche aber noch eine rationale Erklärung zu finden.
Vielleicht sind die Zitate zwar in dem Buch zu finden, aber komplett zusammengestückelt und aus dem Kontext gerissen, um eine witzige Headline erzeugen zu können. Das fände ich schon extrem unzulässig für ein Medium, aber zumindest wäre es eine Möglichkeit.
Vielleicht ist weggelassen geworden, dass der Song die Kinder von Harry und Meghan motiviert hat und so die Familie gemeinsam zu dem Song getanzt und damit eine innere Stärkung erfahren hat, die sie zusammengeschweißt und ihr gezeigt hat, dass für sie die Kernfamilie das Wichtigste ist.
Doch mit Theorien alleine sind mir zu wenig - ich will wissen, was genau hinter diesen Stories steckt, die immerhin, nochmal, auf zwei der reichweitenstärksten Boulevardzeitungen des Landes verbreiten wurden und auf der Startseite des größten ORF-Radios zu lesen war.
Vor allem, wenn die Recherche dazu so einfach ist. Denn nachdem es ja wortwörtliche Zitate sind, müssten diese doch sehr einfach im Buch zu finden sein. Heutzutage leichter denn je, nachdem Bücher ja digital verfügbar sind und leicht nach Wörtern durchsucht werden können.
Also habe ich kurzerhand über das Radio und meine Facebook-Seite dazu aufgerufen, es mögen doch Leute, die das Buch besitzen, schauen, ob sie diese Passagen finden und die Zitate verifizieren können.
Denn in all den Artikeln sind spannenderweise keine Screenshots der Passagen zu sehen. Dabei müssten die doch so einfach aufzutreiben sein.
Aber siehe da, was ist das Ergebnis der Recherche? Mehrere Leute, die das Buch nach den Worten "Burger" und "dance" durchsuchen, können die angegebenen Passagen im Text nicht finden. Auch ich kann das nicht, nachdem mir eine digitale Ausgabe des Buches zugespielt wird. Nicht mal annähernd.
Diese Zitate existieren nicht. Nicht abgeändert, abgewandelt, aus dem Kontext gerissen oder zusammengestückelt - sie existieren gar nicht.
Ich hätte ehrlich gesagt mit vielem gerechnet, aber nicht damit, dass diese wortwörtlichen Zitate einfach gar nicht in dem Buch vorkommen. Und es macht mich wirklich wütend.
Nicht, weil es eine weltbewegende Meldung ist, ob Prince Harry den Burger Dance geil findet oder nicht. Sondern weil es ein Problem in der Medienwelt aufzeigt. Eines, das massiv das Vertrauen in die Medien schwächt, in die vierte Säule der Demokratie.
Gerade seit Corona 2020 ist bei vielen das Vertrauen in die Medien geschwächt worden, weil so viele "alternsunterwegs waren, wie noch nie und gleichzeitig auch die Politik, allen voran die FPÖ, die "Mainstreammedien" als voll von schlecht recherchierten und falschen Informationen geframed hat.
Das war natürlich insofern Schwachsinn, als dass alle wichtigen Informationen zu dieser Zeit von vielen, ausgewiesenen Experten kamen, die zigfach im Interview waren, um die Sachverhalte zu erklären. Aber die Kritik blieb hängen, weil eben von alternativen Fakten und gewissen Parteien befeuert.
Die Kritik an den Medien ist aber nicht zurückgegangen, ganz im Gegenteil, inzwischen geht sogar der amtierende Bundeskanzler im Jahresrückblick-Interview den ZiB 2-Moderator Martin Thür so an wie ein Teenager am Schulhof.
Und solche Stories, wie die um ein komplett frei erfundenes, schwachsinniges Zitat aus einem Buch, sind natürlich Wasser auf den Mühlen jener, die pauschal allen Medien unterstellen, sowieso nur Schwachsinn zu schreiben. Ach was red ich, Wasser? Sturzbäche!
Jetzt hätte ich natürlich meine Erkenntnis einfach stillschweigend unter den Tisch fallen lassen können, um eben nicht dieses Medienbashing zu befeuern. Aber das sähe ich als grundlegend falsch an. Ganz im Gegenteil.
Mein Zugang ist: Offen mit Missständen und Fehlern umgehen, sie ansprechen und aufzeigen - denn nur so kann man das Problem angehen und beseitigen.
Und wie gesagt, so unwichtig diese Meldung ist, so essentiell ist der Umstand, dass die Behauptung von irrwitzigen, wortwörtlichen Zitaten, ohne einen kurzen Gegencheck, einfach übernommen und für bare Münze verkauft wird.
Wie genau die Story überhaupt entstanden ist und welche Fehler alle passiert sein müssen, damit es zu diesem Resultat kommen konnte, werden wir uns im Podcast "Mimikama das glauben - der Faktencheckerpodcast" am kommenden Montag anschauen.
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